Im Fokus

 

Vorhang auf für Neue Musik!

Über den Aufbruch des Hörens in eine neue Dimension: Stille, Tonränder, Zeitraum, Leuchtkraft, Atem.

Kennen Sie das?
Ein Gedanke, dem man längere Zeit nachgegangen ist, verliert im Augenblick, indem man ihn ausspricht, seine Brisanz. Als sei er in dem Moment schon überholt.

Oder das?
Jemand spricht mit frappierend einfachen Worten etwas Bedeutsames aus. Später glaubt man, es wiederholen zu können, aber es ist nicht greifbar eher wie ein Duft, eine Brise, ein Geschmack, über den sich ein Schleier gelegt hat.

Oder noch überraschender: Ich selbst habe einen brillanten Einfall oder eine tiefe Einsicht, die mich verblüffen- so neu sind sie. Per Zufall stoße ich später auf Tagebuchnotizen aus meiner Jugend, in denen haargenau das gleiche steht.

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Was hat das mit dem Thema zu tun ?
Es scheinen sich im Bewußtsein viele Schichten um das Aufbewahren und Abrufen von Gehörtem, Gespieltem, Gesagtem, Erlebtem und Bewegtem zu kümmern. Dort gibt es Fluktuation, Bewegung, schöpferische Prozesse im Verborgenen, Geheimnisse, die gelüftet werden könnten. Auf der andern Seite auch Gefestigtes, durch Wiederholung „Gesichertes“, auf das man zurückgreifen kann.

Das Vertrauen in Bekanntes und das Bedürfnis, sich seiner immer wieder zu vergewissern, es zu perfektionieren und zu vertiefen, kann befangen machen gegenüber Neuem, auch gefangen nehmen. Neuem wird dann eher mit Befremden, Scheu, Vorsicht, Skepsis oder Abwehr begegnet.

Sicherheitshalber bleiben dann die Vorhänge, hinter die man nicht schauen/hören möchte, zugezogen.

Es ist für Musiker, auch Organisten, nicht selbstverständlich, sich mit zeitgenössischer Musik zu beschäftigen, obwohl es nichts „Naheliegenderes“ gibt.

Warum?
Die Geschichte des 20. Jhdts ist eine Geschichte der Umwälzungen, Verheerungen und Neuanfänge. Das musikalische Erbe ist gewaltig. Die Romantik erscheint harmonisch und formal ausgereift. Ein neues Klangideal bahnt sich den Weg in die sinnliche Raffinesse und Transparenz des Impressionismus. Die Erfindung der Zwölftonmusik und des Serialismus konfrontiert mit Abstraktion und Askese und schafft somit neuen Raum.

Die Zerstörungswut und Besinnungslosigkeit des zweiten Weltkriegs sorgt für ein abruptes Ende. Tabula rasa...... danach ist nichts mehr wie ehedem.

Die Zersplitterung und Versprengung des Materials (ver)stört die vertrauten organischen Verläufe. Alles wird ans Licht gezerrt: Mikrotonalität, bis dahin Zeichen der Verstimmung oder einer andern Kultur zugehörig, horizontal, vertikal, neue Klangfarben. Motivsplitter und Rhythmen scheinen sich nicht mehr nur an Gesten, Gangarten, Puls und Atem zu orientieren, sondern erfahren eine Erweiterung. (Ableitung von Nervenimpulsen, Hirnströmen, Craniosakralpuls und den Schwingungsentsprechungen im Makrokosmos. All das ist nicht neu, aber wird mitunter grell beleuchtet.

Schranken fallen (Geräusch – Musik, U – E, sakral – säkular) und bringen neben Freiheit auch Unsicherheit und Ängstlichkeit hervor.

Wenn da nicht die Neugierde wäre, sich der neuen Vielfalt, um nicht zu sagen den unendlichen Möglichkeiten zu öffnen.

Wo fange ich an?
Mit dem Hören!
Ich erinnere mich sehr gut an ein Erlebnis mit 12 Jahren in der Kölner Oper. Zauberflöte, der Vorhang geht auf, dahinter ein fantastisches Bild, zunächst zweidimensional wahrgenommen. Und dann das Staunen, als die Szene sich in Bewegung setzt.

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Das einschneidende akustische Vorhang-auf-Erlebnis zwanzig Jahre später. Ein dramatisches Naturereignis in Form von Hörsturz, katapultiert mich in ein völlig neues Hören. Auch hier öffnet sich der Raum in eine andere Dimension, gewinnt an innerer und äußerer Weite. Der Einzelton wird bewohnbar. So etwas hatte ich bis dahin nicht erlebt und ist zugegebenermaßen auch grenzwertig. Was zunächst ängstigt, ist die Zerlegung des Hörens bzw. des Hörbaren in seine Bestandteile, die chaotische Ortung des Gehörten und die Verfremdung von Dynamik und Klangfarben. All das – läßt man einmal die Angst beiseite - ist ganz außerordentlich. Eine Fülle von neuen Eindrücken schwirren „als freie Radikale“ - noch nicht musikalisch besetzt - umher. Das Gehör, das Hörvermögen scheint selbst zu musizieren und zwingt zum Zuhören und Aushalten. Der Zusammenhang von Hören, Gleichgewichtssinn und Orientierung im Außenraum tut sich auf. Hier werden die Karten anscheinend neu gemischt.

Von da an ist das Aufgehobensein in Musik gestört, die bekannte Musik überlagert von Gewohnheit, Erwartung, Vergleich. Sehnsucht nach dem Unbekannten und Authentischen wird wach. Nach der Alten Musik oder Neuen Musik?